ARMIN SCHREIBER
KUNST-PATERNOSTER
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Mahjong als Global Play
 
Giuseppe Castiglione, "Schlacht von Khurungui", 1758
 
Giuseppe Castiglione, "Schlacht von Khurungui", 1758
 

Im Jahr 1715 kreuzt der 27jährige Jesuitenpater Giuseppe Castiglione , von seinen Ordensbrüdern nach China entsandt, im kaiserlichen Palast zu Peking auf. Wie seine Vorgänger, die als Mathematiker, Astronomen und Kanonengießer die Gunst der Herrscher errungen hatten, bietet auch er zunächst „weltliche“ Dienste als Maler an, um später dann – so der Plan ­­– missionarisch tätig zu werden. Von Castigliones Bekehrungskünsten ist nichts überliefert; selig- oder heiliggesprochen zumindest wurde er nicht. Aber als Hofmaler der „Söhne des Himmels“  sorgte er für eine Revolution: Neben der Zentralperspektive und Helldunkelmalerei, die den Landschaftsdarstellungen eine in China bis dahin nie gesehene Raumtiefe eröffnete, zudem Figuren, Fauna und Flora mit einer als aufreizend empfundenen Plastizität und Lebendigkeit ausstatteten, war es vor allem Castigliones detailgenaue Sicht der Dinge, die der chinesischen Gelehrtenmalerei eine Reihe folgenreicher Impulse vermittelte. Nicht von ungefähr beteiligte sich Kaiserliche Hoheit, als der Meister 1766 starb, mit 300 Silbertalern an den Beerdigungskosten und ernannte ihn posthum zum Vizeminister.

Jan Lei, "The Curators", 2000
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Anders als bei dieser ersten nennenswerten Begegnung mit abendländischer Malerei, die zwar zu einer beträchtlichen Erweiterung der Ausdrucksmöglichkeiten führte, auf Charakter und Fluidum der chinesischen Kunst jedoch ohne Einfluß blieb – und das gilt, den Sozialistischen Realismus ausgenommen, für alle weiteren Kontakte –, scheint sich gegenwärtig, durch eilige Anpassung an den westlichen Diskurs, tatsächlich ein Umbruch zu vollziehen.

Wang Guangyi, "Chanel No.5",1993
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Daß die chinesischen Künstler nach Maos Tod (1976) und dem Ende der Kulturrevolution nicht allesamt zu Papier, Tusche, Pinsel und Tuschstein, den „vier Kostbarkeiten der Studierstube“, und damit zur traditionellen Blumen-, Vogel- und Landschaftsmalerei zurückgekehrt waren, sondern sich zunehmend auch –inspiriert von Europa und den USA –mit neuen Inhalten und Darstellungsformen beschäftigten, wird im Westen erstmals nach der Niederschlagung des Aufstands am Platz des Himmlischen Friedens (Juni 1989) registriert: An diesem Aufstand, dem Proteste der „Bewegung 85“ unter anderem gegen die Schließung der Pekinger Schau „China/Avantgarde“ vorausgegangen waren, hatten sich zahlreiche junge Künstler beteiligt, von denen einige nach der Liquidierung des Widerstands ins Ausland gingen. Präsentationen ihrer Arbeiten in Frankreich, USA und Japan sorgten für beträchtliche Resonanz, wobei in der Folge auch die prekäre Lage der chinesischen Avantgarde innerhalb der Volksrepublik in den Fokus geriet: Die Zeitschrift „Fine Art in China“ mußte ihr Erscheinen einstellen, „Art Monthly“ erhielt eine konservativ ausgerichtete Redaktion; neue Arbeiten konnten nur in privatem Rahmen, in Abrißhäusern, alten Fabrikanlagen (des mittlerweile legendären Bezirks 798) und in ausländischen Botschaften gezeigt werden.

Ai Weiwei Urne mit Coc-Cola-Logo

Ai Weiwei, "Han Dynasty Urn with Coca Cola-Logo", 1995

Mit dem Ausbau der Reform- und Öffnungspolitik in den 90er Jahren – eine wichtige Rolle spielt dabei u.a. das neue „Joint-venture-Kapital-Gesetz“, das ausländischen Investoren mehr Schutz bietet – beginnt eine explosionsartige Wirtschaftsentwicklung, an der inzwischen auch die Künstler der Avantgarde partizipieren. Zwar bevorzugen einheimische Käufer traditionelle Kunst (europäische Auktionäre sprechen von einer Rückkaufwelle), aber das ausländische Publikum setzt forciert auf  zeitgenössische Arbeiten, wobei sich das Segment Political Pop, eine Mixtur aus Sozialistischem Realismus und Andy Warhol, besonderen Zuspruchs erfreut.

Und das nicht nur seitens der Kunden. Die Einladungsliste zur erstmaligen Teilnahme chinesischer Künstler an der Venedig-Biennale 1993 signalisierte, daß jene Kombination von rosigen Mao-Köpfen und – was wäre die Avantgarde ohne die Cola-Dose – heroisch präsentierten Konsumartikeln gerade wegen der immer wieder aufscheinenden Nähe zu den Veteranen „heimischer“ Pop-art in der Regel auch bei Kuratoren gut ankommt.

Sind solche Déjà-vu-Erlebnisse, die sich vergleichsweise oft und nicht nur bei Begegnungen mit Political Pop einstellen, denen die chinesische Gegenwartskunst ihren durchschlagenden internationalen Erfolg verdankt? Ist es der „Aufbruch pur“, der die westliche Nachfrage stimuliert oder der Wunsch nach preisgünstiger Teilhabe an den „Flitterwochen mit dem Kapitalismus“, wie der Kritiker Zhang Langsheng den gegenwärtigen Aufstieg der chinesischen Künstler bezeichnet? Darüber kann man spekulieren. Tatsache ist: Nach umfassenden Ausstellungen während der 2. Hälfte der 90er Jahre  in Barcelona, Bonn, Kopenhagen, New York, San Francisco, nach der auffälligen Präsentation aktueller chinesischer Kunst durch Harald Szeeman bei den Venedig-Biennalen 1999 und 2001, sind deren Protagonisten in der globalen Kunstszene allgegenwärtig, was die Ausstellungsliste für 2006 (Topadressen in Amsterdam, Bern, Berlin, Frankfurt. Montpellier und London) bestätigt.

In diese Reihe gehört auch das Mammutspektakel der Hamburger Kunsthalle, die unter dem Titel „Mahjong“ chinesische Gegenwartskunst aus der Sammlung des Schweizers Uli Sigg vorstellt, der 1979/80 – es ging um Fahrstühle – das erste westlich-chinesische Jointventure einfädelte und später auch Botschafter in Peking war. Seine repräsentative Kollektion umfaßt 1400 Exponate, von denen in Hamburg etwa 300 zu besichtigen sind.

In Öl auf Leinwand, flankiert von einem Ensemble agierender Arbeiter und Bauern, eröffnet „Chairman Mao“ die Ausstellung. Verabschiedet wird man von „The Curators“, einem schwarzweißen Acrylbild des in Peking und Honkong lebenden Künstlers Yan Lei, das im letzten Saal des Parcours zu sehen ist. Es zeigt eine Gruppe gewichtiger, aus Europa und den USA stammender Repräsentanten des globalen Kunstbetriebs – Enwezor, Leiter der 11. documenta ist zu erkennen – auf  Exkursion im Land der Mitte. „Chairman Mao“ (1973)  also, dargestellt im Stil des Sozialistischen Realismus, und „The Curators“ (2000), präsentiert in der Art leicht verwischter Bildschirmerscheinungen à la Gerhard Richter, markieren Ausgans- und vorläufigen Endpunkt der Entwicklung chinesischer Gegenwartskunst und bestätigen –ironisch pointiert –den Transfer der Deutungshoheit von Mao Zedong auf Enwezor & Co.

Die Folgen sind offensichtlich. Wie in Yans „The Curators“, wo die in westlichen Kunstkreationen kultivierte Unschärfe sofort ins Auge fällt, so muß man bei Xu Bing, der in „Himalaya Drawing“ Regen im Gebirge mittels kalligraphischer Zeichen visualisiert, primär an die europäische Variante skripturaler Malerei, bei Zhu Fadong an Polkes 


Transparentbilder oder bei Wang Guangyi  (“Chanel No. 5“) an Roy Lichtenstein denken: Das Gros der Arbeiten läßt sich –so deklarieren auch zahlreiche Künstler ihre Werke – als „zeitgenössische westliche Kunst chinesischer Prägung“ bezeichnen.

Was dem spezifisch Westlichen dabei wiederfahren kann, deutet sich in einer Bemerkung des Malers Yin Zhaoyangn an: „In meiner Heimatstadt Henan mischen die Leute Coca Cola mit Essig und trinken das warm.“ In ähnlicher Weise nämlich geht man mit importierten Formvorstellungen um, die sich durch Einschmelzen persönlicher und kollektiver Erfahrungen, auch über assoziative Bezüge zu tradierten Vorstellungen, mit anderen Konnotationen aufladen. Politpop-Künstler Yu Youhan zeigt auf einem Ölgemälde „Ohne Titel“ (1996) Mao: gemütlich im Polstersessel und gütig lächelnd. Bis auf Hände, Füße, Kopf und Spucknapf ist das gesamte Format (160 x 118 cm) mit bunten, in Richtung Volkskunst stilisierten Blüten überzogen: Anspielung auf Maos Slogan „Laßt hundert Blumen blühen, laßt hundert Schulen miteinander wetteifern“ (1956/57), der von den Intellektuellen als Ermutigung zur Systemkritik verstanden wurde (und wohl zunächst auch so gemeint war), schließlich aber zur „Kampagne gegen Rechtsabweichler“ führte.

Yu Youhan, "Ohne Titel" (Der Vorsitzende Mao), 1996
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Oder Geng Jianyis „The Second Situation“ (1987): Die vier an fotorealistische Grisaillen erinnernden stereotyp lachenden Glatzköpfe fungieren hier nicht als Vehikel einer Medienreflexion, sondern sind Visualisierung eines „Racheakts“, entstanden als Affront gegenüber der Prüfungskommission, die seine Abschlußarbeiten wegen des fehlenden „positiven“ Inhalts zurückgewiesen hatte. Die maskenhaften Gesichter – heute Ikonen der chinesischen Gegenwartskunst – reagieren auf aktuelle gesellschaftliche Verhältnisse, beziehen sich dabei aber auch auf vielfach überlieferte zynisch-humoristische Gesten chinesischer Gelehrter, die sich in Zeiten politischer Repression als „Verrückte“ oder „Zügellose“ aufführten.

Geng Jianyi, "The Second Situation", 1987
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Neben Arbeiten wie der des international renommierten Ai Weiwei, dessen „Han Dynasty Urn with Coca-Cola Logo“ (1995) lediglich soziokulturelles Allerweltswissen mit Ethno-Touch visualisiert und damit auf der Diskursebene bleibt, gibt es ein knappes Dutzend Bilder, die zwar thematisch innerhalb des Erwartungshorizonts jener „Curators“ liegen, aber das Kuratoren-Credo, es sei „wichtiger, sich auf etwas zu beziehen, als etwas auszudrücken“ (Saskia Bos), ganz offensichtlich negieren: Liu Ye zum Beispiel, dessen Gemälde, wie er sagt, zwischen Philosophie und Märchen oszillieren, gewährt Einblicke in ein Paralleluniversum, das seine Existenz kindlich-pubertären Imaginationen und formaler Präzision verdankt. In dieses Universum gehören u.a. „Ruan Lingyu“ (2002), Chinas Königin der Stummfilmzeit, die als enigmatisches Mondgesicht vor tiefblauem Fond erscheint, oder eine Lehrerin („My Teacher II“,2001), deren Outfit – nicht nur der Träger ihres BHs ist verrutscht – sie als die sexuelle Halluzination eines Schülers kenntlich macht.

Yang Shaobin, "Ohne Titel No.7", 2001
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Autoaggression und zwischenmenschliche Brutalität sind  das Thema Yang Shaobins. Im Zuge der Umsetzung des fotografischen Materials –Ringkämpfe zwischen ihm und seinem Bruder –wird die konkrete Situation, so scheint es, wieder der inneren Vorstellung angenähert: aufgequollene, wie verbrüht wirkende gallertartige Fleischklumpen, ineinander verklammert mit demolierten Gesichtern in einem Exzeß der Gewalttätigkeit („Ohne Titel, No.7, 2001).* Bemerkenswert an dieser Arbeit ist, daß sie den Gewaltausbruch fixiert, bevor das Geschehen einer moralischen Interpretation unterzogen ist. Man wird nicht mit einem bereits gewerteten, eingeordneten und damit auf Distanz gebrachten Sachverhalt konfrontiert, sondern mit dessen aufwühlendem Rohzustand.

Liu Ye, "My Teacher II", 2001
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Über 100 Künstler und ungefähr 300 Arbeiten: Von einer „mit Poesie durchtränkten Romantik“ –so beschreibt Yin Zhaoyang den Grundcharakter der chinesischen Kultur – sind allenfalls noch Spuren zu registrieren. Durchweg dominiert, was gemeinhin globaler Mainstream genannt wird. Das zeigt sich anhand der zitierten Vorbilder (Richter, Rauschenberg, Johns, Koons, Warhol und so weiter), das zeigt die verständliche Fixierung auf gesellschaftspolitische Probleme, die das heutige China in kaum faßbarem Ausmaß generiert, die aber von der überwiegenden Mehrheit der Künstler, bei aller Betonung der individuellen Erfahrung, vorzugsweise durch importierte Brillen gesehen und – westlicher Didaktik folgend – in handelsüblicher Weise „hinterfragt“ und „entlarvt“ werden. Widerstand  gegenüber westlichen Kunstvorstellungen? Inspirationen, die den landläufigen Rahmen sprengen? Fehlanzeige.

Als Shanghai im 19. Jahrhundert unter dem Einfluß Englands innerhalb weniger Jahrzehnte vom Fischerdorf zum bedeutenden Handelsplatz mutierte, entwickelte sich in der Stadt relativ schnell eine „neureiche“ Bürgerschicht, die von den Malern der sogenannten Shanghai-Schule mit Bildern versorgt wurde.

Xu Gu Pinie und Kranich

Xu Gu (1824-96), "Pinie und Kranich", o.J.

In der Kunstgeschichte laufen sie unter der Bezeichnung „Handelsbilder“: Womöglich eine Parallele?

*) Das Bild wurde nachträglich eingefügt, da das vorgesehene Werk im Netz nicht mehr zu finden ist.

  Erschienen in Konkret 11/2006 

     
 
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