ARMIN SCHREIBER
KUNST-PATERNOSTER
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Joint Venture                                 Kunst im Reichstag
 
Reichstag
 
 
 
1884 legt Kaiser Wilhelm II. den Grundstein für das Reichstagsgebäude; 1918, nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs, ruft der Sozialdemokrat Phillip Scheidemann auf dem Balkon stehend die Republik aus; 1933: Hitlers Ernennung zum Reichskanzler, Reichstagsbrand und das Ermächtigungsgesetz; 1945 wird die Sowjetflagge auf der Ruine des Gebäudes gehißt; am 9. September ´48 protestieren 350 Tausend vor dem Reichstagsgebäude gegen die Blockade Berlins; 1961: Mauerbau in unmittelbarer Nähe des Geländes; Fall der Mauer 1989 – eingeleitet, wie es heißt, in der Ebertstrasse direkt hinter dem Areal; 1990 die erste Sitzung des gesamtdeutschen Bundestages: Kein anderes Bauwerk kurzum verkörpert signifikanter die neuere politische Geschichte Deutschlands!

Grundsteinlegung durch Wilhelm II

Grundsteinlegung durch Wilhelm II (1884)


Ausrufung der Republik

1918: Ausrufung der Republik durch Scheidemann


Reichstagsbrand 1933

Reichstagsbrand am 27./28. Februar 1933


1945 Hissen der Sowjetflagge auf dem Reichstagsgebäude
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Mauerfall

1989: Fall der Mauer in unmittelbarer Nähe des Reichstags

Wenn ein derartig symbolträchtiger Ort durch Bilder und Objekte ein spezifisches Gepräge erhalten soll, steht ohne Zweifel mehr an als die Lösung eines landläufigen Kunst-am-Bau-Problems, zumal die Kombination „Reichstag/ Kunst“ eine zweite Frage evoziert. Die nämlich, was ein Künstler eigentlich tut, wenn er in affirmative Beziehungen zur Staatsmacht tritt. In Geschichtsbüchern kann man nachlesen, wie der Faschismus Kunst zu Propagandazwecken nutzte und sich dabei später vor allem der sog. Gegenständlichen (Breker, Kolbe, Ziegler u.a.) bediente, die dann in den 50ger Jahren – und der gesamte linke Flügel der „Neuen Sachlichkeit“ gleich mit – unisono diskreditiert wurden. Abstrakte und Expressionisten hingegen konnten offenbar  Distanz halten gegenüber dem NS-Regime und galten nach ´45 von vornherein als individualistisch,  als demokratisch, als avantgardistisch zudem. Waren prädestiniert mithin für die Ausstattung der sich konstituierenden Bundesrepublik mit „fortschrittlich-moderner“ Kunst.

Inzwischen aber, nachdem u.a. Goebbels´ Lobreden auf den Expressionismus oder die Anbiederungsversuche namhafter Bauhauskünstler bekannt geworden sind, fällt Schatten auf die hehre Liaison. Könnten davon auch die „Staatskünstler“ der
Gegenwart berührt sein. Öffentlichen Äußerungen zufolge nicht. Warum auch? So wie die meisten von ihnen in der
Sammlung der Deutschen Bank vertreten sind, so gehören sie auch in den Reichstag. Und die Auseinadersetzungen um die Kunst im Reichtagsgebäude?

Offensichtlich dienen sie primär diesem Ziel: das gut eingespielte Joint Venture zwischen Staat und Kunst vor ernsthaften Störungen zu bewahren. Ausdrücklich scheint Herr Ramsauer von der CSU dieser Strategie zu folgen, wenn er

Hans Haacke, "Der Bevölkerung", 2000
(Entstehung der Installation)
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Hans Haacke, "Der Bevölkerung", 2000
(Besichtigung der Bevölkerung)
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„Der Bevölkerung“, den von Hans Haacke installierten Holztrog, als „einen Dreckhaufen“ bezeichnet und damit den Stammtischen übergibt. „Platt“ nennt die bündnis-grüne Frau Vollmer Gerhard Richters „Schwarz Rot Gold“ und trägt mit diesem gezielten (!)Verweis auf das von Manet in die Welt gesetzte Credo der Moderne „Plus c’est plat, plus c’est de l’art“ („Je platter, desto kunster“) ganz ohne Zweifel zur Nobilitierung der öffentlichen Debatte bei, die am 5. 4. 2000 unter TOP 4 sogar das Bonner Parlament erfaßt und weit über 2000 Artikel und Leserbriefe zeitigt.

Gerhard Richter, "Schwarz,Rot,Gold",1999
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Das soeben bei DuMont erschienene höchst opulente Buch über die „Kunst im Reichtagsgebäude“ berührt dieses Spektakel natürlich nur am Rande. Im Zentrum stehen die Werke und sie werden auf  8 bis 12 Seiten pro Nase in großformatigen, oft ganzseitigen Farbreproduktionen vorgestellt, ergänzt um Detailaufnahmen, Vorstudien, Modelle und schriftliche Äußerungen der Künstler. Wer bislang nur einen Teil der Arbeiten sehen konnte - im Zuge der üblichen Besichtigung von der Dachterrasse aus oder in der Schlange vor dem Aufzug stehend -, erhält hier Einblick in das Ganze: In das ganze Dilemma dieser parlamentarischen Kunstvorführung

Eingeleitet wird die Performance durch die üblichen Dissonanzen zwischen Architekt und beteiligten Künstlern. Die Ergebnisse sind u.a. im Protokollsaal Süd-Ost-Turm zu besichtigen, wo Geigers „Rot 2000, 875/99“ zwischen Decke und blauer Wandverkleidung erstickt. Oder im Sitzungssaal des Ältestenrates, der sich durch Pfahlers „Farb-Raum-Objekt“ in einen - „Nun erzähl’ uns mal, Anna-Lena, welche Farben da aus der Wand purzeln?“ - Kindergarten-Gruppen-Raum verwandelt. Schumachers „Stationen und Zeiten I-IV“ wirken, als seien sie nur vorübergehend im Besprechungsraum deponiert;  die „Aurora-Radierungen“ des inzwischen verstorbenen Carlfriedrich Claus, differenzierte, filigrane Schriftbilder, die man aus allernächster Nähe betrachten sollte, hängen – Denkmal der Verlegenheitslösung - als Fotofilm auf Klarsicht-Acryl-Platten hoch oben unter der Decke der Wandelhalle. Einzig Boltanski scheint für sein „Archiv der Deutschen Abgeordneten“, einer aus 4781 beschrifteten Weißblechdosen bestehenden Installation, im Untergeschoß einen angemessenen Platz gefunden zu haben.


Georg Karl Pfahler, "Farb-Raum-Objekt"
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Der Tübinger Museumsdirektor Götz Adriani und dessen frühere Mülheimer Kollegin Karin Stempel, die dem Kunstbeirat des Bundestages mit Empfehlungen zur Seite standen und als Mitherausgeber des Buches fungieren, erwähnen kurz auch die Künstler und Konzept betreffenden Vorwürfe, verweisen auf ausführliche Diskussionen alternativer Möglichkeiten und den letztendlich einhelligen Beschluß des Beirates, „mit jenen Künstlerpersönlichkeiten das Gespräch zu suchen, deren Werk sich langfristig und mit großer Konsequenz zur Eigenständigkeit entwickelt hat....“ Der Gedanke indessen, daß von einigen jener Persönlichkeiten gerade wegen ihrer ganz spezifischen künstlerischen Ausrichtung bei einem derartigen Projekt kein angemessener Beitrag zu erwarten ist, scheint außerhalb ihres Blickfeldes zu liegen. Richter z. B.: Sein „großes und einziges Thema hinter den verschiedenen Motiven, Stilhaltungen und kunsthistorischen Zitaten ist letzten Endes die Malerei selbst, deren Sprache und Mittel er in den so heterogen erscheinenden Werkphasen immer wieder aufs Neue befragt.“ Polke, gleichermaßen auf die Wirkungsweise von Bildern fixiert, beschäftigt „der Wechsel von Erkennbarkeit und Nichterkennbarkeit der Motive“, wie an seinen Leuchtkästen im Eingangsbereich unschwer zu erkennen ist.


Georg Baselitz vor "Friedrichs Frau am Abgrund",
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Baselitz schließlich, der in der Eingangshalle Süd auch die von C.D. Friedrich adaptierten Figuren auf den Kopf stellt:„Die Umkehrung des Motivs gab mir die Freiheit, mich mit malerischen Problemen auseinanderzusetzen.“

Ist ihnen die poststrukturalistische Vorstellung von der Ablösung der „Realität“ durch die „Hyperrealität“ und der damit einhergehenden „Zerstreuung des Sinns“ derartig zu Kopfe gestiegen, daß sie zu Fiktionen, zu utopischen Setzungen nicht mehr fähig sind und nur noch die Konditionen ihres Metiers interpretieren wollen? Was hier verbalisiert und zum Motiv künstlerischer Betätigung wird, ist Klärung der Bildmittel, Medienreflexion, wie sie bereits Fotorealisten und Pop-Artisten thematisiert und bis zu einem Punkt getrieben haben, an dem die dabei entstehende Kunst – so A. C. Danto - „nichts mehr von ihrer eigenen Philosophie unterscheidet.“ Zweifellos –  bei Gestehungskosten von 28 Mio. konnte man davon natürlich ausgehen - wird dieses Niveau auch im Reichstagsgebäude erreicht. Aber mußte denn die Visualisierung eines ästhetischen Diskurses der Bevölkerung ausgerechnet hier, auch hier noch vorgeführt werden?

So zu fragen, ist naiv, denn die Antwort lautet selbstverständlich: Ja. –  Und die interessierten Galeristen werden es den Künstlern danken!

 

Konkret 7/2002

             
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