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| Johannes Müller-Franken: Das erotische Prinzip | ||
| Von Raoul 
		Hausmann gibt es eine mittelprächtige Kunst-Definition. Aber sie führt 
		schnell und ohne Umstände zum Thema meiner Einführung. Es sind nur zwei 
		Zeilen und die lauten so: „Ja, wissen Sie denn nicht, daß die Kunst“ – 
		Sie werden gleich merken: hier spricht
		Herr Hausmann –„ja, wissen Sie 
		denn nicht, daß die Kunst eine schöne weibliche Gestalt ist, ohne 
		Kleidung, und daß sie darauf rechnet, ins Bett genommen zu werden?“ „Erotik“ heißt das 
		Stichwort, das hier indirekt zur Verfügung gestellt wird, und damit bin 
		ich bei Johannes Müller-Franken und seinen Arbeiten. Von den ersten 
		Stillleben nämlich aus dem Jahre 1983 bis hin zu „Piazza Manzini“: Die 
		erotische Komponente – so könnte man sagen – ist immer dabei. 
		 Stilleben mit Pampelmusen, 1983 Sie zeigt sich 
		– verdeckt, versteckt, indirekt – an der fast taktilen Wirkung der frisch 
		gebügelten Tischdecke des Pampelmusen-Stilllebens und ist konkret 
		anwesend bereits in dem großformatigen Diptychon „Mann und Frau“. Es 
		handelt sich um die Neuauflage eines Motivs, das unter der 
		Bezeichnung „Traum des Ritters“ in der Kunstgeschichte mehrfach, u.a. 
		von Raffael, bearbeitet wurde und hier die Funktion hat, die Darstellung 
		des spezifischen Reizes von Stoffen thematisch zu binden. Wie in den 
		Variationen der Alten Meister, stellt auch bei Müller-Franken die 
		weibliche Gestalt einen Engel dar. Auch ohne Flügel gewinnt sie ihren 
		Status als „himmlisches Wesen“: durch die Faszination nämlich, die von 
		ihrer unirdischen Erscheinung ausgeht. 
		 Bildnis Anna, 1985 Einen Schritt 
		weiter, in „Bildnis Anna“, einem Porträtauftrag, ist die erotische 
		Komponente mehr als nur sichtbar. Sie führt Regie: Anna sitzt nicht in 
		einem gemütlichen Sessel, sondern – und da zeigt sich bereits das 
		Regie-Konzept – auf einem  
		zierlichen Klappstuhl: Sehen Sie sich diesen Stuhl noch einmal an und 
		Sie werden sofort spüren: Konstruktion und Größe verlangen eine doppelte 
		Anstrengung von der eleganten Anna. Um eine legere Haltung anzubieten, 
		was ihr offensichtlich vorschwebt, ist sie zu höchster körperlicher 
		Konzentration und gleichzeitig zur Kaschierung dieser Anspannung 
		gezwungen. Ungewollt, aber evoziert durch den unbequemen Stuhl, bringt 
		sie etwas von ihrer Person zum Ausdruck. Was sie über sich im 
		Zuge dieser Begegnung mit dem Maler – vermittelt durch ihr Outfit – 
		bekanntgeben will, wird von Müller-Franken aufgenommen und diskret 
		verstärkt: Der flauschige Stoff der Kleidung (unwillkürlich denkt man 
		das Wort „Kindermäntelchen“) versorgt die dargestellt Figur mit einer 
		weichen Umhüllung: mit einer durchaus erotischen Wirkung. Er betont 
		zugleich die Privatheit, die Intimität der Porträtsitzung. Aber dieser 
		erste Eindruck wird etwas korrigiert: Durch den mondänen Schnitt vor 
		allem der Jacke, durch die Stofffülle, die delikate Farbigkeit. Durch 
		die Applikationen und den dezent-kostbaren Schmuck geraten Distanz 
		schaffende Faktoren ins Spiel, ins erotische Spiel. 
		 Frau mit Fahrrad II,1989 Die sich 
		anschließenden Arbeiten zweigen seine Protagonisten bei alltäglichen 
		Verrichtungen. Die Kellnerin spannt den Sonnenschirm auf, ein Fahrrad 
		wird die Treppe hochgetragen. „Vor dem Spiegel“ wirft eine Frau den sog. 
		letzten Blick auf ihre Ausstattung, eine Küchenhilfe füllt Nudeln in 
		Plastikschalen. Was bereits bei 
		„Anna“ und dem modernen Engel zu spüren ist, die erotische Aufladung 
		nämlich der jeweiligen Situation über eine nahezu haptische Wirkung der 
		diversen Kleidungsstücke, wird in diesen Bildern auf subtile Weise 
		gesteigert. Von den leicht bewegten Kleiderfalten der Fahrradträgerin 
		geht, als habe Müller Franken seine Farben mit Eau de Parfüm 
		angereichert, ein das Sensorium attackierender Reiz aus. Gleichermaßen 
		effektvoll – und auch hier scheint ein spezielles Aphrodisiakum 
		mitzuhelfen – wird die in einem dünnen, durchsichtigen Plastikhandschuh 
		steckende, Zöpfli umfüllende Hand der Küchenhilfe vorgeführt! 
		 Mensa, 1992 Aber schon hier 
		erhält das früh aufscheinende Interesse an Textilien, an Stoffen 
		generell, indem deren erotisches Potential zur Vitalisierung und 
		Wirkungssteigerung des Ausdrucks eingesetzt wird, eine erweiterte 
		Bedeutung: Die von den Figuren ausgelösten Affektion erfaßt nun auch die
		Dinge der Umgebung. Puderquast 
		und Lippenstift, die da „Vor dem Spiegel“ auf dem Waschbeckenrand 
		stehen, sind nicht mehr unter dem Aspekt der Nutzanwendung gesehen, 
		sondern sie wirken in ihrer farbig-plastischen aufreizenden Eleganz wie 
		erotische Statuetten. | Daß Müller-Franken 
		die Statusveränderung dieser an sich ja profanen Gegenstände via Erotik 
		im Bad vornimmt, in dem Atelier 
		gewissermaßen, in dem Schönheit – all…täglich, wenn man so will 
		–„hergestellt“ wird, und zwar unter zielsicherer Verwendung von 
		Gestaltungs- bzw. Verfremdungsmitteln, wie sie auch Maler in ihrer 
		Werkstatt einsetzen, unterstreicht auf ironisch-tiefsinnige Weise die 
		Lebensnähe und Vitalität seines künstlerischen Ansatzes. 
		 Vor dem Spiegel I, 1990 Hier ist die 
		Nobilitierung der Dinge, ihr besonderes In-Erscheinung-Treten, noch an 
		das spezielle Ambiente eines Badezimmers gebunden. Später erfaßt dieser 
		Blick des Liebenden auch andere Situationen, mehr noch: Er wird – in 
		Erweiterung der erotischen Komponente – zum Ferment, zum 
		konstituierenden Element seiner Arbeit.  Bis 1990 erscheinen 
		meist weibliche Einzelfiguren auf der Bildfläche. 
		Mit Gemälden wie „Charles II“, in denen jeweils mehrere Personen 
		gezeigt sind, gelingt Müller-Franken der Schritt zur Darstellung 
		komplexerer Situationen. Was sofort ins Auge fällt: Im Gegensatz zu 
		Kellnerin und „Küchenhilfe“ agieren  
		 die Protagonisten außerhalb des Berufslebens. Entsprechend 
		verändert hat dich die Ausstattung: Elegante, voluminöse Lederjacken, 
		raffiniert ramponierte Jeans im Designer-look, exotische Stoffmuster an 
		Röcken und Blousons, lässig übergeworfene Jeans-Jacken in reizvollem 
		Kontrast zu Taft und Seide etc. Dazu Schmuck in allen Variationen und 
		natürlich – was Föhn und Festiger hergeben –Haarpracht in kunstvoll 
		gebändigter Wildheit. Nach dem ersten 
		Blick und evoziert durch das Festival der Textilien, Accessoires und 
		Frisuren, könnten die Assoziationen in Richtung Laufsteg wandern. Aber 
		die Beteiligten unterbinden diesen Ausflug. 
		Ihre Gesichter signalisieren in jeweils individueller Ausprägung 
		, daß es nicht um Modefiguren, sondern um wirkliche Personen geht. 
		Zeigten sich die Figuren vorher in nahezu meditativer Ruhe 
		(„Küchenhilfe“), wird die Situation nun, in „Charles II“ z.B., 
		dramatisch, opernhaft dramatisch! Und es fällt nicht schwer, die Szene 
		als den Höhepunkt eines 3. Aktes mit anschwellend schriller 
		Orchestermusik zu imaginieren. 
		 „Charles“: Aus dem 
		Eingang der Diskothek fällt Neonlicht. Der magische Schein erfaßt die 
		zwei jungen Frauen und überzieht sie mit bläulich weißer Lasur. Ihre 
		Kleidung absorbiert die grelle Strahlung, versetzt die farbigen Muster 
		in kaltes Funkeln und bringt auf den Gesichtern, die das Neonlicht 
		reflektieren, die kalte Wut zum Vorschein. Sie haben „Charles“ 
		verlassen. Gezeigt wird der Moment, in dem sich die Mädchen noch einmal 
		umdrehen und den Eingang fixieren. Was drinnen passiert ist, weiß man 
		nicht. Aber daß etwas passiert ist, daß sie buchstäblich geladen sind 
		mit dieser für sie offensichtlich unerhörten Begebenheit und dem 
		sicheren Gefühl, nichts tun zu können, bringen Gesicht und Körper auf 
		explosive Weise zum Ausdruck. Das in der Bildmitte 
		postierte Mädchen steht dem Eingang frontal gegenüber, den Oberkörper, 
		wie um Abstand zu gewinnen, ein Stück zurückgebogen. Ihr eindringlicher 
		Blick, zusätzlich mit Intensität aufgeladen durch den waagerecht nach 
		von geschobenen Kopf, heftet sich fest an einen bestimmten Punkt im 
		Inneren des Raumes, als wollte sie per Willensakt das Erscheinen einer 
		Erklärung erzwingen. Die zweite Person – 
		sie wirkt zusammengestaucht durch das vorangegangene Ereignis – steht in 
		gebeugter Haltung an der Bordsteinkante. Aus der Krümmung heraus dreht 
		sie ihren Kopf in Richtung des blauen Portals. Man sieht die fest 
		aufeinander liegenden Lippen, die weiß aufblitzenden Augen und ist 
		sicher: Die will keine Erklärung, die will den Laden in die Luft 
		sprengen. Sie tut es nicht! So 
		wie das Bild nichts darüber aussagt, was sich in der Diskothek konkret 
		abgespielt hat, so gibt es auch hinsichtlich der Fortsetzung keine 
		Information. Das Ereignis lädt sie mit Emotionen auf, doch die gestaute 
		Erregung entlädt sich nicht. Sie bleibt bei den Figuren. Man kann es 
		ablesen an der Intensität der Farben, an der auf den 
		Ausdrucksschwerpunkt hin stilisierten, suggestiv formulierten 
		Körperstellung. Sie bleibt bei den Figuren und wird umgesetzt in 
		Bildkraft. Dabei gelingt 
		Müller-Franken etwas Besonderes, etwas – bezogen auf heutige Malerei – 
		höchst Ungewöhnliches: Seine Figuren werden nicht durch Überzeichnung 
		entindividualisiert, also nicht zu einem Typ degradiert oder gar in die 
		Nähe von Karikaturen gerückt. Vielmehr bleibt die Integrität der 
		dargestellten Personen ausdrücklich erhalten, ebenso ihre durch den 
		Blick des Künstlers entdeckte spezifische Schönheit.  Nachtrag aus dem 
		Katalogtext zu „Visionen des Wirklichen“ (Viersen,2002): Als Kind gerät 
		Johannes (Müller-Franken), während er vom 2.Stock runter auf die 
		herbstliche Straße kuckt, in den Bann eines größeren Mädchens: „ Die 
		Haare aschblond und schulterlang, den Kopf leicht in den Nacken gelegt, 
		so daß ich ihr etwas gerötetes Gesicht sehen konnte. Ihr Anorak nicht 
		nagelneu und in dem gleichen undefinierbaren Grüngrau der Umgebung; ihre 
		Wollstrumpfhose von ebenderselben Farbe. Ihr leicht ausgestellter 
		knielanger Rock aber war rotkariert, und zwar in mehrerlei Tönen Rot, 
		davon einige leuchtend mit etwas Schwarz und Weiß dazwischen. […] Trotz 
		der engen Chromatik der Farben und trotz des halbdämmrigen Lichts hatte 
		die optische Erscheinung dieser zügig gehenden Figur Klarheit und 
		Schärfe besessen: Es ist in dieser Komplexität mein erstes erinnerbares 
		Erlebnis mit einer (weiblichen) Figur und heute, mit Anfang Vierzig, 
		nehme ich solche und in ihrer Struktur ähnliche Situationen genauso wahr 
		wie damals mit dreidreiviertel Jahren.“ 
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