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				Meinen 
				Anmerkungen zu Fritz Koch möchte ich
				drei Kurzinformationen vorausschicken: 1. 
				Wenn 
				man die Tür zu seinem Atelier öffnet, fällt der Blick nicht auf 
				Zeichnungen und Bilder, sondern – und das war bei meinem ersten 
				Besuch schon überraschend 
				–  auf ein 
				ziemlich opulentes, aus Snare- und Base Drum, High Head, Right 
				Cymbal, Crash, Cowbell und zwei Toms bestehendem Schlagzeug. – 
				Vielleicht, so könnte man denken, eine Reminiszenz an vergangene 
				Pubertätsträume? Nein, durchaus nicht! Das Aggregat ist nach wie 
				vor in Betrieb, und zur Zeit interessieren ihn 
				verschiedenartige, gleichzeitig ablaufende Rhythmen, sogenannte 
				polyrhythmische patterns. 2. 
				 
				Im Spätsommer Jahres 2003 war ich mit Fritz Koch auf einer 
				Bergtour in Graubünden. Dabei zeigte er sich als höchst 
				eigenwilliger Mitwanderer. Keine Begeisterungsrufe während des 
				morgendlichen Aufstiegs; keine Reaktion auf schöne An- und 
				Aussichten; Enzian, Almrausch, Mücken-Handwurz, die Highlights 
				der Alpenflora: auch die keiner Erwähnung wert! Dann aber,  zwei-, dreihundert Meter über der Baumgrenze, angesichts 
				grüngrauschwarzer Schutthalden, Steinschlagrinnen und 
				zerklüfteter Felsformationen, deren Risse, Verschiebungen, 
				Spalten und Falten – ich gebe es ja zu – 
				sensationelle Texturen und Musterungen, also 
				visualisierte 
				Rhythmen aufwiesen, da geriet er in Stimmung, d.h., – Stativ 
				immer dabei –: er fotografierte. 3. 
				Auf der Suche nach einem seine Kunst betreffenden 
				Schlüsselerlebnis, nach frühen Prägungen also oder anders 
				gesagt: nach entscheidenden Momenten, in denen sich – mit Dürer 
				gesprochen – die „inwendige figur“ konstituiert, deren 
				Materialisierung, Objektivierung später Ziel künstlerischer 
				Anstrengung wird, stößt man auf entscheidende Anhaltspunkte 
				bereits in der frühen Kindheit, die Fritz Koch auf einem 
				Bauernhof in Schwarmstedt nahe der Leine verlebte. Die 
				alljährlichen Überflutungen im Vorfrühling mit weggeschwemmten 
				Misthaufen, vergammelten Rüben auf morastigen Feldern, mit 
				nassen Füssen in vollgelaufenen Gummistiefeln, 
				Kleintierkadavern, die im Gestrüpp und an Zäumen hängen bleiben, 
				wenn das Wasser zurückweicht, aber auch die Arbeit, die Mithilfe 
				beim Rübenverziehen, Kartoffeln sortieren etc., das frühe 
				Eingebundensein kurzum in die elementaren Vorgänge vom Säen bis 
				zur Ernte, wie sie – völlig unsentimental – in einer 
				Agrarlandschaft ablaufen: dies alles und zunächst aus 
				Kinderkopfhöhe wahrgenommen, scheint bei ihm bis heute 
				nachzuwirken. Mais, Kartoffeln, Runkelrüben! Daß sich 
				Fritz Koch mit solchen Sujets auseinandersetzt, seine 
				Bildgegenstände – als würde er beim Zeichnen in der Furche 
				liegen – aus allernächster Nähe erfasst und dabei Details 
				aufnimmt, die nie zuvor in solcher Präzision dargestellt wurden, 
				hängt zweifellos mit dieser früh begründeten Affinität zusammen.   
				
				 
				
				   
				
				
				Schwarmstedt nahe der Aller: 
				 
				Landschaft seiner Kindheit  
				 
				   Über Kindheitserinnerungen sprechend, 
				berichtet Koch von einem flachen sumpfigen Tümpel, der sich in seinem Bewusstsein eine 
				gewisse Leuchtkraft erhalten hat. Dieses kleine Gewässer – man 
				kennt die akustisch-visuellen Reize solcher Örtlichkeiten –
				 ist von ihm als eine 
				Situation erlebt worden, „wo die Dinge“, so hat es Jean Liedloff 
				formuliert, „waren, wie sie sein sollten“, wo eine tief 
				empfundene Übereinstimmung bestand: „Ich habe nie versucht“, so 
				Koch, „diesen Ort gewissermaßen zu porträtieren. Dennoch glaube 
				ich, daß meine Zeichnungen sich in sehr spezifischer Weise zu 
				dieser frühen Prägung verhalten. Sie zieht sich leitmotivisch 
				durch meine gesamte Arbeit.“ 
				      k 
				
				 
				
				 
				            
				 k 
				"Keimende Kartoffeln", 1991 
				Das 
				Realisieren also polyrhythmischer Muster via Schlagzeug, das 
				Fotografieren ausschließlich bestimmter, vielfältig gegliederter 
				Texturen, das Idolisieren eines Tümpels als des Künstlers 
				Kinderstube sozusagen: mit diesen biografischen Momentaufnahmen 
				möchte ich andeuten, daß eine besondere Affinität zu komplexen 
				rhythmischen Strukturen besteht, um die es natürlich auch und 
				selbstverständlich in Kochs Zeichnungen geht, an denen er Monate 
				lang, bei größeren Formaten über Jahre hinweg arbeitet. Die 
				minutiöse Darstellung zielt also
				
				nicht auf hypertrophierte Kartoffel- 
				 
				"Hohenesch", 1992 (Ausschnitt) 
				 und 
				Maisstauden-Mimesis, auf moderne Mopsverdoppelung, hat nichts zu 
				tun mit den perfekt welkenden Tulpen niederländischer 
				Vanitas-Stillleben, zielt ebenso wenig in Richtung Oelze gehende 
				Bilderfindungen, sondern dient dem Versuch, solche
				
				Strukturen bis in allerfeinste Verzweigungen aufzudecken 
				und zum Vorschein zu bringen, d.h., jener Kongruenz 
				nachzuspüren, sie – via Kunst – zu
				reaktivieren bzw. 
				herzustellen. 
				
				 
				"Boviste", 2001 
				Vor 
				diesem Hintergrund wird verständlich, weshalb er sich vor allem 
				mit der Metamorphose verrottender Pflanzen und Tierkadaver 
				beschäftigt. Die verschiedenen Stadien nämlich, die Kartoffeln, 
				Runkelrüben oder Boviste bis zum Zerfall in ihr materielles 
				Substrat durchlaufen, bieten fortgesetzt filigraner werdende 
				Abwandlungen jener Strukturen, die bei ihm diese ganz besonderen 
				Resonanzen auslösen. Zunehmend stärker geht er dabei über das 
				hinaus, was ihm Kraut und Rüben an Gestaltungsvorschlägen 
				anbieten. Er integriert eigene Formerfindungen, so daß Bilder 
				einer quasi verwandtschaftlichen Beziehung entstehen, wobei ich 
				ausdrücklich auf Ludwig Tieck und sein poetisches Statement
				
				„Blumen sind uns nah befreundet, Pflanzen unserm Blut verwandt...“
				verweisen möchte. Es sind Bilder, die, wie es Astrid Brandt 
				formulierte, „Momente des Glücks“ evozieren können – wie Musik, 
				die uns besonders nahe geht.
				Koch 
				selbst spricht in dem Zusammenhang von glücklichen Augenblicken 
				der Kongruenz, die sich einstellen, wenn im Zuge der Arbeit 
				erste Details seiner minutiös gezeichneten Grafit-Landschaften 
				Gestalt annehmen. 
				Bei genauerer Betrachtung wird deutlich, daß die 
				verwandtschaftlichen Beziehungen ziemlich weit reichen. Zudem 
				zeigt sich, daß wir es hier mit modernsten Naturbildern zu tun 
				haben. Ein paar Beispiele: Sie stehen, meine Damen und Herren, 
				vor der Kochschen „Agrarlandschaft“ und durch die Art der 
				Gestaltung werden Ihnen darüber hinaus, wie aus weiter 
				Entfernung fixiert – Stichwort „Satellit“ – landschaftliche 
				Großereignisse gezeigt: ausbrechende Vulkane, aufgetürmte Wellen 
				im Moment des Überschlags, Wüsten oder Schwemmland, das in Dürre 
				erstarrt. Oder Sie betrachten das „Maisfeld“, die von Sand 
				überwehten Gesteinsaufwürfe, die zu dunklen Mulden 
				ausgetrockneten Pfützen, die Reflexe auf eingeschlossenen 
				Kieseln und Sie haben zugleich – als sähen Sie durchs Mikroskop 
				– Zusammenballungen von Bakterien vor Augen. 
				
				 
 Landschaft (Kartoffeln), 1990/91
 
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				Die Darstellung 
				schließlich des Abplatzens feiner Knochensplitter evoziert zwei 
				höchst unterschiedliche Vorstellungen: „Sonnen-Protuberanzen“ 
				die eine, „Zellteilung“, die andere. D.h., es ergeben sich 
				Verbindungen zu Bildern und Modellen, wie sie von 
				Molekular-Biologen oder, einen Schritt weiter, von 
				Atom-Physikern erstellt werden, und zugleich meint man, durch 
				Superteleskope sehend den „Ozean der Stürme“, den „Tarantel“- 
				oder „Krebsnebel“ zu erkennen: Angesiedelt sind die Sujets – was 
				auch in den Titeln zum Ausdruck kommt – im
				Mesokosmos, 
				
				in der für uns (mit „unbewaffneten Auge“) sichtbaren 
				Welt. Zugleich ergeben sich über die Form der Darstellung 
				Verknüpfungen zu Modellvorstellungen, die moderne 
				Naturwissenschaftler über
				Mikro- und Makrokosmos
				entwickelt haben. 
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				Churyumov Gerasimenko, 2017 
				
				
				Vergrößerung (anklicken) Interessant ist in dem Zusammenhang die 
				2017 entstandene Zeichnung eines zerfallenden Bovisten, der Koch 
				den Titel „Churyumov Gerasimenko“ gegeben hat. Der Titel bezieht 
				sich auf den von Klym Churyumov und Svetlana Gerasimenko 
				entdeckten und nach ihnen benannten Kometen, der sich in ca. 600 
				Mill. km Entfernung von der Erde bewegt. Zuviel Ehre für einen 
				Bovisten? Aus nächster Nähe ins Auge gefaßt, werden auf dessen 
				Oberfläche eine Fülle differenzierter Texturen sichtbar, wie sie 
				– was die strukturelle Vielfältigkeit betrifft – auch auf den 
				Fotos der Raumsonde „Rosetta“ auftauchen, die den Kometen 
				begleitet hatte. Was sich dem Betrachter früherer Arbeiten 
				allein via Assoziation vermittelt (Abplatzen feiner 
				Knochensplitter → Sonnenprotuberanzen), wird hier durch den 
				Bildtitel avisiert: Daß es natürlich um die hochdetaillierte 
				Formulierung eines komplexen organischen Gebildes – hier eines 
				Bovisten – geht, zugleich aber oder darüber hinaus um die 
				Fixierung allumfassender, universeller Strukturen, die sich 
				ausbilden bei interstellaren Prozessen ebenso wie bei der 
				sukzessiven Auflösung eines Bovisten.
				     K 
				
				 
				                      
				 k 
				"Digitalis purpurea", 1994 
				  Weltbild im Maisfeld: Die Arbeiten der 
				80er und 90er Jahre zeigen – abgesehen von der spektakulären 
				Eins-zu-eins-Darstellung einer vertrockneten Königskerze 
				und weiteren Einzelobjekten (Fuchskadaver, Roter Fingerhut kurz 
				vor der Blüte, Kürbis kurz vor der Ernte) – primär 
				landwirtschaftliche Areale in herbstlichen Zustand, also mit 
				Maisstrünken, Kartoffelkraut und Runkelrüben. 
				 
				                             
				 k 
				
				 
				                  
				 k 
				"Cucurbita", 2008   
				
				In den neueren Bildern kommt das oben 
				erwähnte Leitbild, der flache, sumpfige Tümpel wesentlich 
				stärker, vor allem direkter zum Vorschein. Das  zeigt sich 
				– geradezu ins Auge springend – bei der seit 2015 entstehenden großformatigen  Zeichnung 
				
				Tunguska 
				
				und dem
				 2017-18 geschaffenen 
				20,9 mal 20,9 cm-Format 
				Hinter Tobolsk. 
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				"Tunguska", 2015 
				- (Ausschnitt) 
				
				
				Vergrößerung (anklicken) 
				XXX 
				
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				"Hinter Tobolsk", 2017 -18 
				
				Vergrößerung (anklicken) xxxx 
				
				In beiden Arbeiten gibt es keinerlei Anhaltspunkte für 
				menschliches Eingreifen. Organische und anorganische Natur sind 
				unter sich! Dabei werden einzelne Pflanzen – Erlen, Sumpfgräser, 
				Schilfrohr – als vegetative
				
				
				Individuen sichtbar, zeigen sich in dezenter, 
				geheimnisumwitterter melancholischer Anmut. Anschaulich wird 
				aber zugleich, wie sie – verwoben miteinander – die spezifische 
				Aura der jeweiligen Landschaft entstehen lassen, die sich von 
				den in einem Hamburger Naherholungsgebiet entstandenen 
				Stützfotos, von den konkreten
				Anblicken also, 
				entfernt haben und eher als Projektionen, als 
				„Veröffentlichungen“ innerer 
				Bilder zu sehen sind: Von Kindheitserinnerungen durchwirkt, 
				klar; gleichermaßen stark aber auch von Gestaltungen geprägt, 
				auf die man in „weit entfernt“ liegender Wildnis stoßen könnte. 
				Nicht von ungefähr tragen die Zeichnungen Titel, denen etwas 
				Legendäres anhaftet: 
				Tunguska und Hinter 
				Tobolsk. 
				.
 
				
				
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				"Terrain Vague", (Ausschnitt) 
				
				
				
				Vergrößerung
				 (anklicken).
 Schlußbemerkung: Angesichts des nur noch in 
				Terabytes zu messenden Zuwachses an Datenmaterial über die Natur 
				erscheint das in ihr gesuchte
				Erlebnis, sich die 
				Gefühle bzw. Vorstellungen des Abgetrennt-Seins von der Welt 
				durch Fauna, Flora, Wind und Wetter wenigstens 
				kurzfristig vertreiben zu lassen, kaum noch möglich zu sein. Was uns 
				aber – früher oder später – aus der Bredouille helfen könnte, 
				ist die Verknüpfung von ästhetisch-emotionaler Einsicht und 
				wissenschaftlicher Erkenntnis. In Kochs Arbeiten deutet sich 
				eine solche Synthese an.    Mit Superlativen sollte man vorsichtig 
				sein. Aber hier riskiere ich einen: Was die Originale zeigen, 
				die verpixelten Abbildungen seiner Grafit-Landschaften jedoch 
				allenfalls andeuten: Unter den Außenseitern der Kunstszene ist 
				Fritz Koch groß- und einzigartig!:
 
				
				Einführung in die Ausstellung im 
				„Kubus“, Hannover (2004) + Ergänzungen (ab 2015) |