ARMIN SCHREIBER
KUNST-PATERNOSTER
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Was erlaube Goldrahme?                Krummes Holz!
     
     
Von Friedrich Nietzsche stammt der Gedanke, aus Angst vor der Kunst sei im 5. vorchristlichen Jahrhundert die Philosophie entstanden, die dann dem Gegner sogleich - indem man a) ihm den Terminus »Nachahmung« anhängte, b) die Anschauung zur minderwertigen Erkenntnisform degradierte - eins auswischte, und zwar nachhaltig. Die damit fixierte Hierarchie wurde zwar immer wieder - und durchaus nicht nur von Künstlern - in Frage gestellt, letztendlich aber, solange die entsprechenden Dispute in europäischem Rahmen abliefen, dominierte - doch - die Sicht von Platon & Co.
Das freilich sollte sich mit dem Eingreifen der Amerikaner ändern, zudem auf eine Weise, mit der kaum jemand in all den mehr als zweitausend Jahren gerechnet hatte. Im Grunde ging es - wenn man so will - 'zack-zack', d.h., nach zwei entscheidenden Schritten war das Problem erledigt. Der erste: Jasper Johns malt formatidentisch seine Flaggen-, Zielscheiben- und Zahlenbilder und macht damit den Mimesis-Vorwurf gegenstandslos, denn eine Flagge z. B. wird, so die Theorie, wenn man sie malt, notwendig zu einer Flagge, nicht zu ihrer Nachahmung: ontologisch gesehen.

 Lichtenstein Big Painting No. 6 1965
 
Roy Lichtenstein, "Big Painting No. 6", 1965                                  k
*Der zweite Schritt erfolgt mit Roy Lichtensteins Pinselstrichgemälden, durch die nun auch der Makel, Malerei liefere bloße Anschauung, abgestreift wird: Man rekapitulierte, was sich in diesen Arbeiten in bezug auf die Darstellung jener impulsiven abstrakt-expressionistischen Meistergesten der 50er Jahre mit Hilfe gemalter - ihrer Herkunft nach jedoch mechanisch gesetzter - Rasterpunkte allein an begrifflicher Vorleistung präsentiert und, ich zitiere den amerikanischen Philosophen Arthur C. Danto, folgerte: "Diese Gemälde sind in einem tiefen Sinne theoretisch."
Der Kunst, die nun nichts mehr - so Danto - "von ihrer eigenen Philosophie unterscheidet", die damit zwangsläufig "zum Bereich der Philosophie gehören muss", der Kunst generell stellt er eine Prognose, die auch schon Tom Wolfe ("Worte in Farbe") angedeutet hatte, dass nämlich die "Gegenstände bis zum Nullpunkt reduziert werden, während die Theorie ins Unendliche wächst."

Altmeppen Krummes Holz

"Krummes Holz", 1992

"Krummes Holz"!* Heiner Altmeppens 41,5 x 48, 5cm großes, nach knapp einjähriger Arbeit 1992 fertiggestelltes Gemälde "Krummes Holz" steht zu jener postmodernen Vision in einer interessanten Beziehung, einer Beziehung, deren Charakter sich bereits in der Vorgeschichte abzeichnet.
Seine Entstehung verdankt es einem goldenen Rokoko-Rahmen im Besitz eines befreundeten Sammlers, für den ein 'dazu passendes' Bild gemalt werden sollte und Altmeppens Idee - eher Schnapsidee -, diesem Rahmen, dieser wie eine ondulierte Feinfrisur wirkenden vegetativen Ornamentik sei allein durch ein struppig-wucherndes, gleichsam ungekämmtes Naturstück Paroli zu bieten.
Aber natürlich kann selbst der allerschönste Goldrahmen aus dem Nichts nicht eine derartige Imagination hervorrufen. Zumindest einzelne Aspekte der Bildidee müssen Altmeppen bereits vorher und anderweitig beschäftigt haben. Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang die "Fünf Variationen über ein romantisches Thema", da vor allem die Arbeiten "Marmor", "Maßwerk" und "Monierbeton", die ab 1983 - zwei Jahre nach der "Norddeutschen Landschaft" - entstanden sind.

Altmeppen Marmor Altmeppen Msswerk Altmeppen Monierbeton

"Marmor"               "Maßwerk"            "Monierbeton"

Altmeppen Norddeutsche Landschaft

"Norddeutsche Landschaft", 1980/81

Während man hier - und das große Format versorgt diesen Vorgang mit zusätzlicher Wirkungsenergie - durch einen optischen Sog zum kilometerweit entfernten Horizont über die Landschaft hinweggezogen wird und das gesamte Areal nur als grüngelb-farbiges Flachrelief aufnimmt: in globaler Sicht gleichsam und vor dem Original mit leichtem Schwindel, zeigen die genannten "Variationen" Raumtiefen nur bis maximal drei Meter. Die geschickte ja, raffinierte Komposition bietet eine Fülle von kurzen 'Gleitstrecken' und optischen Verdichtungen an, die das Auge zu verhaltener Bewegung animieren, zu detaillierter Wahrnehmung der vielfältigen Gesteinsformationen, des Blattwerks der Pflanzen, aber auch des Lichts und des Raumes über und zwischen den Dingen: die lokale Perspektive.
1983, vor dem Hintergrund der "Norddeutschen Landschaft", konnte man diese Bilder fraglos als Manifestation des anderen Extrems der künstlerischen Möglichkeiten Heiner Altmeppens verstehen. Neue Sujets waren vorstellbar - natürlich -, auch bestimmte Steigerungen hier oder da; nicht aber, dass dieser Extrempunkt so weit versetzt würde wie das dann - rund zehn Jahre später - via "Krummes Holz" passiert.
Dabei beginnt die Arbeit, als schließlich der Rokokorahmen aus dem Blickfeld geräumt war durchaus normal: Einige hundert Fotos zum Thema "Buchenbaumrinde", "Wurzelstücke", "Flechten und Moose" - bei Wanderungen in der Umgebung aufgenommen- werden durchgesehen, drei oder vier als Anschauungsmaterial bereitgelegt. Es folgen Grundkompositionen und Herstellung eines 'Reizgrundes' aus Braun- und Grüntönen, die Untermalung für den Baum, die Wurzeln und Kräuter.
Mit fortschreitender Konkretisierung der untermalten Partien jedoch tritt - wenn ich Altmeppens Bemerkungen richtig interpretiere - eine psychologische Veränderung ein. Zwar liegt der Goldrahmen unterm Bett, aber das Bewusstsein, hier nun, nachdem sämtliche Bilder vorher in 'künstlerischer Freiheit' entstanden waren, an einem Auftrag zu sitzen, wird zunehmend wacher.
Die Auseinandersetzung mit dem Faktum "Auftragsarbeit" führt zu einem erneuten Ausloten der eigenen künstlerischen Intentionen. In diesem Sinne wächst das Bild: Nicht nach der Natur oder - in mimetischer Absicht - auf sie zu (das hatte doch schon Klee verboten!), auch nicht von ihr abstrahierend, also via Stilisierung per Reduktion. Sondern durch fortwährendes Hinzufügen und Einbinden weiterer sujetbezogener Farb- und Formelemente erreicht es schrittweise die vom Künstler akzeptierte Gestalt.
Im Verlauf der Arbeit rückt die Frage nach dem Grad der dinghaften Präsenz der Gegen stände deutlich in den Vordergrund. Sie avanciert gewissermaßen zum Motor des Herstellungsprozesses: In dem Augenblick nämlich, wo sie erstmals gestellt und - durch das kraftvoll plastische Hervortreten der Buchenwurzel aus der Untermalung - beantwortet wird, taucht die Frage erneut auf, jetzt bezogen auf die Flächen rechts und links daneben, aus denen Moos 'wachsen' soll. Und sie springt weiter: zu dem rotbraunen Gesteinsgrund, den Flechten, vertrockneten Ästen, aufsteigenden Trieben und landet - schneller möglicherweise als dem Hersteller lieb ist - wieder am Ausgangspunkt:
Können die Wurzeln in diesem Umfeld bestehen? Wenn ja: weil vielleicht die Flechten, die vertrockneten Blätter 'unter Preis' angeboten sind, ihre Anwesenheit mit zu wenig Sensations-Appeal ausgestattet ist? Andererseits: Was geschieht mit dem Umfeld und den oberen Teilen des Baumes, sofern die Wurzelpartie nochmals verstärkt wird?
So wird die Frage in den verschiedenen Zonen des Bildes mehrfach gestellt. Und jede Antwort, d.h., jedes neue
  Einschmelzen weiterer Gestaltungspartikel - ein zusätzliches Glanzlicht, eine Betonung der haptischen Qualitäten des Mooses am Stamm etc. -, die ja immer auch die Atmosphäre des Bildes leicht verändert, führt schließlich zu einer bildwirksamen Balance zwischen den einzelnen Gegenständen: hier auf einem Niveau von extremer Wirkungsdichte.
Die Verdichtung - wie gesagt - entsteht nicht (kann so auch nicht entstehen) im Bemühen um wirklichkeitsgetreue Wiedergabe des Naturstücks. Damit wäre bestenfalls -ein alter Hut - der Mops verdoppelt. Sie bildet sich, indem Altmeppen seine Gegenstände auflädt mit den Eindrücken aus tausend Seherfahrungen: Getragen von dem Willen, die Präsenz der Dinge zu forcieren, wird ihnen die zigfach nachhaltige Verblüffung angesichts bestimmter Valeurs, besonderer Licht- und Formwirkungen gleichsam einverleibt.
1983, vor dem Hintergrund der "Norddeutschen Landschaft", konnte man diese Bilder fraglos als Manifestation des anderen Extrems der künstlerischen Möglichkeiten Heiner Altmeppens verstehen. Neue Sujets waren vorstellbar - natürlich -, auch bestimmte Steigerungen hier oder da; nicht aber, dass dieser Extrempunkt so weit versetzt würde wie das dann - rund zehn Jahre später - via "Krummes Holz" passiert.
Dabei beginnt die Arbeit, als schließlich der Rokokorahmen aus dem Blickfeld geräumt war durchaus normal: Einige hundert Fotos zum Thema "Buchenbaumrinde", "Wurzelstücke", "Flechten und Moose" - bei Wanderungen in der Umgebung aufgenommen- werden durchgesehen, drei oder vier als Anschauungsmaterial bereitgelegt. Es folgen Grundkompositionen und Herstellung eines 'Reizgrundes' aus Braun- und Grüntönen, die Untermalung für den Baum, die Wurzeln und Kräuter.
Mit fortschreitender Konkretisierung der untermalten Partien jedoch tritt - wenn ich Altmeppens Bemerkungen richtig interpretiere - eine psychologische Veränderung ein. Zwar liegt der Goldrahmen unterm Bett, aber das Bewusstsein, hier nun, nachdem sämtliche Bilder vorher in 'künstlerischer Freiheit' entstanden waren, an einem Auftrag zu sitzen, wird zunehmend wacher.
Die Auseinandersetzung mit dem Faktum "Auftragsarbeit" führt zu einem erneuten Ausloten der eigenen künstlerischen Intentionen. In diesem Sinne wächst das Bild: Nicht nach der Natur oder - in mimetischer Absicht - auf sie zu (das hatte doch schon Klee verboten!), auch nicht von ihr abstrahierend, also via Stilisierung per Reduktion. Sondern durch fortwährendes Hinzufügen und Einbinden weiterer sujetbezogener Farb- und Formelemente erreicht es schrittweise die vom Künstler akzeptierte Gestalt.
Im Verlauf der Arbeit rückt die Frage nach dem Grad der dinghaften Präsenz der Gegen stände deutlich in den Vordergrund. Sie avanciert gewissermaßen zum Motor des Herstellungsprozesses: In dem Augenblick nämlich, wo sie erstmals gestellt und - durch das kraftvoll plastische Hervortreten der Buchenwurzel aus der Untermalung - beantwortet wird, taucht die Frage erneut auf, jetzt bezogen auf die Flächen rechts und links daneben, aus denen Moos 'wachsen' soll. Und sie springt weiter: zu dem rotbraunen Gesteinsgrund, den Flechten, vertrockneten Ästen, aufsteigenden Trieben und landet - schneller möglicherweise als dem Hersteller lieb ist - wieder am Ausgangspunkt: Können die Wurzeln in diesem Umfeld bestehen? Wenn ja: weil vielleicht die Flechten, die vertrockneten Blätter 'unter Preis' angeboten sind, ihre Anwesenheit mit zu wenig Sensations-Appeal ausgestattet ist? Andererseits: Was geschieht mit dem Umfeld und den oberen Teilen des Baumes, sofern die Wurzelpartie nochmals verstärkt wird?
So wird die Frage in den verschiedenen Zonen des Bildes mehrfach gestellt. Und jede Antwort, d.h., jedes neue Einschmelzen weiterer Gestaltungspartikel - ein zusätzliches Glanzlicht, eine Betonung der haptischen Qualitäten des Mooses am Stamm etc. -, die ja immer auch die Atmosphäre des Bildes leicht verändert, führt schließlich zu einer bildwirksamen Balance zwischen den einzelnen Gegenständen: hier auf einem Niveau von extremer Wirkungsdichte.
Die Verdichtung - wie gesagt - entsteht nicht (kann so auch nicht entstehen) im Bemühen um wirklichkeitsgetreue Wiedergabe des Naturstücks. Damit wäre bestenfalls -ein alter Hut - der Mops verdoppelt. Sie bildet sich, indem Altmeppen seine Gegenstände auflädt mit den Eindrücken aus tausend Seherfahrungen: Getragen von dem Willen, die Präsenz der Dinge zu forcieren, wird ihnen die zigfach nachhaltige Verblüffung angesichts bestimmter Valeurs, besonderer Licht- und Formwirkungen gleichsam einverleibt.
Andere Perspektive: Wer in einem Katalog Altmeppenscher Arbeiten blättert, wird bemerken, dass Bäume in seinem Frühwerk, d. h. zwischen '73 und '78 nicht vorkommen. Kräuter, Sträucher, Gras durchaus, aber Bäume - abgesehen von dem einen kleinen, dünnen, noch am Stock festgebundenen Exemplar neben der "Ampelanlage" (1976) - nicht.

Altmeppen Ampelanlage

"Ampelanlage", 1976

Waren Bäume Altmeppens Angstgegner? Oder gerade nicht? Musste er möglicherweise nur den richtigen Moment für die Inszenierung ihres Debuts in seiner Bildwelt abwarten?
1978 auf jeden Fall und eskortiert von einem goldfarbenen Kleinwagen ("Haus") erscheint erstmals, hier im künstlichen Licht einer Peitschenlampe, eine große Platane. Ihr Auftritt ist spektakulär.

Altmeppen Haus

"Haus", 1979

Man sieht sie, als sei die Straßenbeleuchtung erst Sekundenbruchteile vorher angeschaltet worden: unverhofft, wie urplötzlich wahrgenommen, wie eine überraschende Entdeckung. Auch die folgenden Arbeiten "Buche", "Wald", "Februar-Landschaft", die ohne den Reiz künstlicher Beleuchtung auskommen, verfügen über diesen spezifischen Überraschungseffekt.  Die Buche in der "Februar-Landschaft" z.B. hat man - obwohl sie in drei bis vier Metern Entfernung auf der Wiese steht - unmittelbar vor Augen. Ad hoc wird der Betrachter von ihrer anmutigen Gestalt, von ihrer Schönheit in Kenntnis gesetzt.
Wie kommt diese erstaunliche Wirkung zustande? Verkürzt dargestellt: weil Altmeppen mehrere (Kamera)-Blicke, also Normal-, Weit, Nahsicht, Überbelichtung, Unterbelichtung, die einzeln jeweils eine bestimmte Bandbreite an Information abdecken, in einem einzigen (Kunst)-Blick zusammenfasst.
Die Tendenz zur Komprimierung wird im Zuge der Arbeit an "Krummes Holz" auf die Spitze getrieben. Inhaltlich gleichsam gefordert - denn von den kraftstrotzenden Seitentrieben bis zu den vertrockneten, wieder zerbröselnden Wurzeln sind alle Lebensstadien des Baumes sichtbar - werden sowohl die Information als auch die Gestaltungselemente ihrer bildhaften Vermittlung nochmals verdichtet.
"Kunst ist zusammengepresste Natur!" Als sollte dieser
Hebbelsche Satz hier ausdrücklich bestätigt werden, vergegenständlicht Altmeppen jeden Quadratzentimeter des Bildes, vervielfältigt das Wirkungspotential der dargestellten Dinge. Sie erscheinen wie aus Metallgründen herausgetrieben: kompakt-plastisch, mit ziselierter Oberfläche und - mit Licht offenbar von innen und außen - in schimmernd leuchtender Farbigkeit.
Zurück an den Ausgangspunkt, zu A.C. Dantos Prophezeihung über die Entwicklung der Kunst und der Beziehung zwischen dieser Vorschau und Altmeppens Bild: Auch "Krummes Holz" nämlich riskiert eine Prognose. Sie stellt jene philosophie-durchtränkte Präfiguration auf den Kopf, wobei am Rande vermerkt sei, dass der Goldrahmen nicht zum Einsatz kam: Wenn auch »die Theorie ins Unendliche wächst«, hier unten, in der Endlichkeit, gehört die Kunst den Gegenständen.


 *) Der Titel geht auf eine Passage aus Kants "Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht" (1784) zurück: "Aus so krummem Holze als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden."

Erschienen im Ausstellungskatalog "Herbert Jäger - Heiner Altmeppen - Astrid Brandt", Städtische Galerie im Park  Viersen,  Dezember 1994  -  Emslandmuseum Schloß Clemenswerth, Sögel,  März 1995
     
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